Martin Eden Film Startposter

Zum Film

Als sich der Matrose Martin Eden in die großbürgerliche Elena Orsini verliebt, ist ihm klar, dass sein Charme allein nicht reichen wird, um ihr Herz und das ihrer Eltern zu erobern. Ungestüm beginnt er, seine bescheidene Bildung zu erweitern. Er liest, was ihm in die Finger kommt, von Baudelaire bis Herbert Spencer. Das Schreiben wird zu seiner großen Leidenschaft. Martin will Schriftsteller werden.

Kaum einer glaubt an Martin, selbst Elena verfolgt seine Arbeit mit nachsichtiger Herablassung. Nur der Bohemien und Sozialist Russ Brissenden erkennt sein ungeheures Talent – und die Gefahren, die auf ihn warten. Ist die Liebe wirklich eine Kraft, die Klassengegensätze überwindet? Kann Martin, der Proletarier, in die Sphären des Großbürgertums aufsteigen, ohne sich selbst zu verleugnen? Wie muss man schreiben, um auch im Moment des Erfolgs bei sich zu sein? Für wen?

Martin Eden ist jung. Er will die Welt beschreiben. Er will Elena lieben. Er will ihre Welt erobern.

Regisseur Pietro Marcello hat Jack Londons autobiografisch gefärbten Roman ins Neapel des frühen 20. Jahrhunderts versetzt und verwebt Martin Edens bewegende Geschichte mit den politischen Prozessen Europas des 20. Jahrhunderts zu einer bildgewaltigen Textur, die Neapel und die Konfrontation gesellschaftlicher Klassen so spürbar werden lässt, wie man es jüngst nur von Elena Ferrante kannte.

«Martin Eden», uraufgeführt im Wettbewerb in Venedig, wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Platform Prize in Toronto, dem Regiepreis in Ghentals bester Film in Sevilla sowie vier Nominierungen zum Europäischen Filmpreis (Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Bester Hauptdarsteller). Luca Marinelli gewann mit seiner mitreißenden Performance in Venedig 2019 den Coppa Volpi als Bester Schauspieler.

MARTIN EDEN | Film | Martin und Elena tanzen

Kommentar des Regisseurs

«Martin Eden» erzählt unsere Geschichte, die Geschichte von Menschen, die keinen Zugang zur Bildung hatten, nicht in ihren Familien, nicht in der Schule, wohl aber auf der Straße. Es ist ein Roman über die, die sich alles selbst beibringen, die an Bildung als Mittel der Emanzipation glaubten, aber auf irgendeine Weise davon enttäuscht wurden. Wenn man genauer hinsieht, erzählt «Martin Eden» jedoch nicht nur die Geschichte eines jungen Proletariers, der sich in ein Mädchen aus einer höheren sozialen Klasse verliebt und davon zu träumen beginnt, Schriftsteller zu werden. «Martin Eden» entwirft auch das Porträt eines erfolgreichen Künstlers (ein schemenhaftes Selbstporträt von Jack London), der unaufhaltsam das Gefühl für seine eigene Kunst verliert.

Wir haben den Roman Jack Londons auf eine freie Weise interpretiert und «Martin Eden» als ein Fresko genommen, das die Verwerfungen und Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts vorausgesehen hat, ebenso wie seine entscheidenden Themen: das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, die Rolle der Massenkultur, den Klassenkampf...

Im Film stehen am Beginn dieser Parabel vom unglückseligen Helden Archivaufnahmen des italienischen Anarchisten Errico Malatesta,
der Film zieht Parallelen zu Leben und Werk der „Poètes maudits“ Ende des frühen 20. Jahrhunderts, von Vladimir Majakovskij bis zu Stig Dagerman und Nora May French. Wir stellten uns einen Martin vor, wie er das 20. Jahrhundert durchquert, oder vielmehr eine Verdichtung, eine traumhafte Transposition davon, ohne Zeitgrenzen, nicht länger im Kalifornien des Romans, sondern in einem Neapel, das jede Stadt sein könnte, überall auf der Welt.

PIETRO MARCELLO

MARTIN EDEN | Film | Martin und Elen unter dem Regenschirm

Presse­stimmen

Ein cinematografischer Hurrikan, ein Gesamtkunstwerk... Großes Kino!
FOTOGRAMAS

Eine spektakuläre Performance… Luca Marinelli ist eine Naturgewalt, in jeder Szene.
THE HOLLYWOOD REPORTER

Ein mitreißendes, dunkles, wunderschönes Melodram unter der Sonne Süditaliens...
Pietro Marcello hat den Roman von Jack London nicht adaptiert: Er hat ihn transformiert, er hat etwas Eigenes geschaffen, reines, wirkliches Kino.
LE FIGARO

Ein Film von einzigartiger Schönheit.
ELLE

Es gehört zum Schönsten dieses Films, dass er die Geschichte aus San Francisco in die Bucht von Neapel transponiert. Ein Film, der aus allen Ideen des Kinos geboren zu sein scheint, aus einem großartigen, vergeblichen Tanz, einer Begegnung ihres Helden mit der Welt.
LIBÉRATION

Die lyrische Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart, eine Hymne auf die Vitalität des Neapels der einfachen Menschen.
SCREEN DAILY

Ein gewaltiger Film, ein wilder Ritt durch die Epochen.
OTROS CINES

Eine große, dramatische, bewegende Geschichte... Luca Marinelli spielt mit einer herausragenden Mischung aus Wildheit und Zärtlichkeit.
CINEMA SCOPE

Trailer

Kinofinder

Zur Zeit leider keine Einsätze!
MARTIN EDEN | Film | Martin Eden liest am Hafen

Produktions­notizen

ENTSTEHUNG

Den Anstoß zu «Martin Eden» gab Maurizio Braucci, Freund und Weggefährte Pietro Marcellos, der ihm den Roman vor 20 Jahren schenkte. „Ich sagte Pietro, dass das unsere Geschichte ist“, erinnert sich Braucci. „Weil es um Leute geht, die die Kultur entdecken, und zwar über den Weg anderer Menschen, über Mentoren, Freunde, Bücher... Das ist keine Bildung auf herkömmliche Art, sondern eine, die sich von überallher speist, aus unserer Stadt, der Welt, aus unseren Leben – und jedes Mal ziehen wir dabei Rückschlüsse auf unser eigenes Vorankommen, auf unser eigenes Lernen.“

Für Pietro Marcello waren die Bezüge zu seiner eigenen Geschichte offensichtlich: „Mit der Hauptfigur verbinden mich einige Gemeinsamkeiten, das hatte sicher Einfluss. Martin Eden hatte aufgrund seiner Herkunft keinen Zugang zur Bildung, er erarbeitet sie sich allein. Das war bei mir ähnlich. Ich bin der Sohn eines Seemanns, Neapolitaner, ich komme aus einer Welt, in der man ohne Bücher aufwächst. Und wie Martin habe ich dann wie ein Verrückter gelesen, um das aufzuholen. Aber ich identifiziere mich nicht mit seiner Vision der Welt. Sein Individualismus, seine libertäre Vision ohne soziales Bewusstsein müssen zwangsläufig in die Barbarei führen.“

Hatte Pietro Marcello vor allem in «La Bocca del lupo» (2009) und «Bella e perduta – Lost and beautiful» immer mehr fiktionale Elemente in seine essayistischen Dokumentarfilme integriert, sollte «Martin Eden nun sein erster gänzlich fiktionaler Spielfilm werden. „Das Buch hat uns lange begleitet“, sagt Pietro Marcello. „Und jetzt war für mich die Zeit reif, einen Film daraus zu machen, zusammen mit Maurizio als Koautor. Mir erschien «Martin Eden» als ein notwendiger Film, in der Art und Weise, wie die Geschichte in unseren heutigen Zeiten widerhallt.“

ADAPTION

Zu Beginn der Arbeit stellten sich Marcello und Braucci die Frage, wie sie an die filmische Adaption dieses meisterhaften amerikanischen Romans vom Anfang des 20. Jahrhunderts herangehen sollten. „Die Entscheidung, den Film nach Italien zu transponieren, hatte sicher damit zu tun, ihn näher an uns heranzuholen. Keiner von uns kommt aus der angelsächsischen Welt, diese Kultur ist uns nicht sehr vertraut. Unser Martin Eden wächst in Neapel auf. Und das Mittelmeer ist eine Badewanne im Vergleich zu den Ozeanen der großen maritimen Literatur bei Melville oder Stevenson. Unser Martin Eden ist nicht nur Seemann, er ist auch Landarbeiter.“

Für die Arbeit am Drehbuch zogen sich Marcello und Braucci in ein Haus auf dem Land zurück. „Wir konnten das nicht über Skype machen, wir brauchten die direkte Begegnung. Und wir sagten: Wir müssen andere Leute treffen, um uns Beratung und spezielles Wissen einzuholen, besonders bei den historischen, politischen und literarischen Referenzen unseres Films. Maurizio und ich haben die Transposition des Romans zusammen gemacht, es ging um das Übersetzen der literarischen Sprache in die Sprache des Kinos. Auf der einen Seite fühlten wir uns dabei sehr frei in unseren Entscheidungen, auf der anderen Seite aber sind wir sehr nah am Roman geblieben.“

Das Drehbuch enthielt dabei bewusst Leerstellen. „Ich komme vom Dokumentarfilm, ich schreibe ein Drehbuch nicht in der typisch angelsächsischen Tradition des Storytelling“, sagt Marcello. „Ich habe dabei eine Methode, die ein wenig an die von Rosselini angelehnt ist: Ich misstraue dem Drehbuch, ich glaube, dass man viel während des Drehens und während der Montage erfinden muss. Wir haben beim Schreiben Raum für die unerwarteten Momente gelassen, von denen wir wussten, dass sie beim Drehen passieren würden.“

CAST

Für Pietro Marcello waren Luca Marinelli und Carlo Cecchi von Anfang an gesetzt. „Die beiden hatten bereits zusammengearbeitet, wahrscheinlich kann man sogar sagen, dass Carlo Cecchi so etwas wie der Mentor von Luca Marinelli ist, vor allem im Theater. Für die Hauptrolle wollte ich einen starken, theatralischen, wandlungsfähigen Schauspieler. Luca war der Richtige dafür. Er muss den Film wirklich auf seinen Schultern tragen.“ Für die beiden großen Frauenrollen, Elena und Margherita, suchte Marcello nach eher unbekannten Schauspielerinnen. „Ich wollte, dass sie auf der Leinwand frisch wirkten. Und diese Schauspielerinnen habe ich schließlich in Jessica Cressy und Denise Sardisco gefunden.“

Den Dreharbeiten gingen gemeinsame Proben mit dem Ensemble voraus – für Marcello eine logische Konsequenz aus seiner Sicht des Drehbuchs als notwendig unvollständiger Arbeitsschritt. „Wir probten, und ich arbeitete mit Luca und den anderen Schauspielern an den Dialogen. Ich merkte, dass es entscheidend für mich war, ihnen die Geschichte nahe zu bringen und sie gemeinsam zu transformieren. Es ist fast unvermeidlich. Für mich war das Unglaublichste bei «Martin Eden», dass das Projekt uns allen die Möglichkeit gab, zusammen zu experimentieren. Es war eine riesige Herausforderung.

EIN MODERNER HELD

Marcello und Braucci waren von den fast prophetischen Qualitäten des Romans fasziniert, der 1906 erschienen ist: „Wir haben «Martin Eden» als ein Porträt gelesen, das auf gewisse Weise die Fragestellungen, die Verwerfungen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts vorwegnimmt. Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, die Kulturindustrie, die Rolle der Massenkultur, den Klassenkampf, Hitlers und Mussolinis Aufstieg zur Macht, bis hinein in eine andere der großen Tragödien des 20. Jahrhunderts, unsere Zeit des Neoliberalismus. Er ist extrem gegenwärtig und aktuell. In diesem Sinn ist Jack Londons Roman ein wegweisendes Meisterwerk, vor allem, wenn man bedenkt, wann er ihn geschrieben hat.“

Den Martin Eden sehen Marcello und Braucci als eine moderne Figur: „Er ist ein negativer Held, jemand, der den Bezug zur Realität verliert, eine moderne Inkarnation des Hedonismus, des Narzissmus, des Individualismus in einer extremen Ausprägung, eine Art Rockstar. Wir begleiten ihn bis zum Ende seines Weges, der ihn die soziale Klasse verraten lässt, zu der er gehört, das Subproletariat. Am Ende erkennen wir ihn nicht wieder. Martin verliert den Kontakt zur Wirklichkeit, zur Erde, zu den anderen. Er bricht die Brücken zu seiner Familie ab und findet sich ohne Verbündete wieder. Und plötzlich, auf einen Schlag, hat er nichts mehr zu schreiben. Seine künstlerische Berufung ist ihm zu nichts mehr nütze. Er ist verloren. Hier unterscheidet sich unser Ende von Jack Londons Roman, der letzlich doch ein sentimentaler Roman in der Tradition des 19. Jahrhunderts bleibt, trotz seiner Kritik des Spektakels.“

JACK LONDON

Es macht vielleicht einen Teil der Faszination des Werks von Jack London aus, dass der Autor eine sehr komplexe, widersprüchliche Persönlichkeit war. „Er war bekannt als Autor mit sozialistischem Hintergrund“, sagt Marcello, „gleichzeitig verkehrte er in den bourgeoisen Kreisen von George Sterling. Er experimentierte mit Drogen und traumartigen Reisen, er hatte Tendenzen zu einer Art von säkularem Mystizismus. Er beschäftigte sich mit Herbert Spencer, der monströse Dinge geschrieben hat, und versuchte, den Sozialdarwinismus mit Marx zu verbinden. London hat versucht, in seinem Roman wichtige Elemente von Kultur und Geschichte zu beschreiben, und er erinnert uns daran, wie sehr wir aufpassen müssen, dass uns diese Elemente nicht zu fanatischen Nihilisten werden lassen.

Das waren Dinge, mit denen wir uns während der Recherche beschäftigt haben. Spencer zum Beispiel ist in Italien heute nahezu vergessen, er gilt als Prophet des Bösen, während er vor allem in der angelsächsischen Welt weiterhin viel gelesen wird.“

Der Ansatz Marcellos und Brauccis, den Grund von Martin Edens Scheitern in seinem von Spencers Sozialdarwinismus beeinflussten übersteigerten Individualismus zu sehen, entspricht dabei der Intention Jack Londons, wie aus einem Brief an Upton Sinclair hervorgeht: „Eines meiner Motive in diesem Buch war ein Angriff auf den Individualismus“. Jack London hat «Martin Eden» trotz der offensichtlichen Parallelen zur eigenen Lebensgeschichte nie als Selbstporträt gesehen – eine Einschätzung, der Marcello unter Verweis auf die tieferliegenden Schichten des Romans widerspricht: „So sehr Martins zunehmend brüchige Ethik im Kontrast zu Londons sozialistischer Überzeugung steht, ist das Buch trotzdem ein Selbstporträt. Jack London war damals gerade 33 Jahre alt, er wurde immer desillusionierter, was seinen Ruhm und den damit verbundenen Druck anging. Ich glaube, «Martin Eden» ist für Jack Landon das, was »Dorian Gray« für Oscar Wilde war. Es ist in gewisser Weise wie ein Spiegel. London und Wilde porträtieren den Antihelden, aber nicht in Bezug auf uns, sondern auf sich selbst.“

UTOPIE UND BARBAREI

Marcello verweist auf einen Unterschied in der Rezeption von Jack Londons Roman zum Zeitpunkt seines Erscheinens: „Die Amerikaner haben den Sozialisten Jack London nie gemocht, in den USA hat man vor allem seine Abenteuerromane wahrgenommen. Erfolg hatte «Martin Eden» nur in Europa. Wenn Martins Mentor Russ Brissenden sagt: Werde Sozialist, das ist unvermeidlich – dann spricht er von einem ursprünglichen Sozialismus, den man in jedem menschlichen Austausch findet. Es geht um das, was eine Gesellschaft positiv ausmacht.“

Der Film beginnt mit Archivbildern des italienischen Anarchisten Errico Malatesta vom Anfang des 20. Jahrhunderts. „Malatesta hat von der Notwendigkeit eines Individualismus gesprochen, der untrennbar mit dem Sozialismus verbunden ist, weil er ohne diese Verbindung in die Barbarei führt“, sagt Marcello. „Was er Individualismus nennt, ist das Interesse für die Person. Aber wenn Martin in der Dinner-Szene seine wütende Rede hält, dann verfällt er in einen Diskurs, der der des Neoliberalismus von heute ist. Es gibt in diesem Roman eine dunkle Vorahnung der Katastrophen, die tatsächlich gekommen sind. Das reicht bis heute: Vor 40 Jahren hat sich niemand ein zerbrechendes Europa vorstellen können, den Brexit, Le Pen, Orbán, Salvini, Trump... Das ist etwas, was der Roman in gewisser Weise bereits erzählt.“

REISE DURCH EIN JAHRHUNDERT

Während die geografische Verschiebung der Handlung in Marcellos und Brauccis Adaption eindeutig ist, ist der zeitliche Rahmen nur schwer zu bestimmen. Tatsächlich verwendet der Film Material aus verschiedenen Phasen des 20. Jahrhunderts: Frisuren, Telefone, Züge, Autos, Martins gebrauchte Olivetti-Reiseschreibmaschine – das scheinen Verweise auf das Italien der Nachkriegszeit zu sein. Andere Hinweise verändern die Zeitrechnung. Die Kleider, die Elena und ihre Familie tragen, erinnern ans 19. Jahrhundert, die Streikversammlung, zu der Russ und Martin gehen, gemahnen ans frühe 20. Jahrhundert, andere Szenen legen die Zeit des aufkeimenden Faschismus im Europa der 20er und 30er Jahre nahe. „Ich wollte mit dem Film das 20. Jahrhundert durchqueren“, sagt Pietro Marcello. „Deswegen verschreibt sich mein Film in gewisser Weise einer bestimmten Tradition des populären Kinos. Eine sehr persönliche Geschichte, die ein Stück der großen Geschichte erzählt, in der Tradition des klassischen Romans. Mein Film nutzt diese Form, um der Gegenwart zu begegnen.“

Die Geschichte Martin Edens ist verwoben mit dokumentarischen Aufnahmen aus verschiedenen Zeiten, sowohl selbst gedrehten Sequenzen als auch Archivmaterial: Bilder vom Straßenleben in Neapel, von körperlicher Arbeit, von Schiffen, Zügen, Maschinen – zusammen mit Material, das von den Kameraleuten Alessandro Abate und Francesco di Giacomo gedreht und vor allem für Szenen, die Erinnerungen an Martins Kindheit evozieren, eingesetzt wurde. „Ich liebe es, mit Archivmaterial zu arbeiten, und hier konnten wir uns auf die großartige Archivrecherche von Alessia Petitto stützen, die fantastisches Material gefunden hat“, sagt Marcello. „Als Kameramann meiner früheren Filme konnte ich auch alte Aufnahmen, die ich selbst gedreht hatte, benutzen. Solche Bilder dienen als Kontrapunkt, sie werfen ein anderes Licht auf die Hauptfigur.“

ARCHIVMATERIAL UND MONTAGE

„Das Material des Films wurde weitgehend auf 16mm oder Super-16 gedreht, mit weichen Cooke-Linsen“, sagt Marcello, „manchmal gibt es auch 35mm-Bilder, wie die von dem Schiff am Anfang des Films. Wir haben auch mit abgelaufenem Filmmaterial gearbeitet – es gab am Ende jede Menge unterschiedliches Filmmaterial, das wir dann in der Montage zusammengebracht und angepasst haben. Manchmal haben wir Material eingefärbt, um die Gleichheit der Farbtöne und der Texturen der Bilder anzupassen.“

Die Montage beschreibt Pietro Marcello als aufregendste Phase beim Filmemachen. „Das Archivmaterial ist der Kontrapunkt, um über die Geschichte zu reden. Ich habe diese Art von Kontrapunkt und Gegenüberstellung schon in meinen früheren Filmen genutzt. Die Einbeziehung anderer Bilder erlaubt es mir auf der einen Seite, das Porträt von Martin Eden zu komplettieren, mit seiner Vergangenheit, seiner Kindheit und seiner Erinnerung daran, auf der anderen Seite kann ich das Porträt der Gesellschaft in ihrer Epoche entwerfen. Ich habe immer mit Archivaufnahmen gearbeitet, ich bin fasziniert von ihrer Einzigartigkeit. Ich glaube, dass diese Aufnahmen in «Martin Eden» den Vektor der Geschichte in die Filmhandlung hinein bilden. Die Montage ist komplex, sie hat verschiedene Ebenen – aus diesem Grund habe ich zum ersten Mal mit zwei Editoren gearbeitet, Aline Hervé und Fabrizio Federico.“

FIKTION UND WIRKLICHKEIT

„Ich habe durch die Arbeit an Dokumentarfilmen auf der Straße gelernt, mit den unvorhergesehenen und unvorhersehbaren Elementen des Kinos umzugehen. Wenn man rausgeht und dokumentarisch dreht, weiß man, dass man nicht viel Zeit haben wird und dass man nicht erwarten kann, nach Hause zu kommen und jede Einstellung so zu haben, wie man sie wollte. Ich denke, der Dokumentarfilm ist nur eines der vielen Instrumente des Kinos, aber es ist das, was mich als Filmemacher geprägt hat“, sagt Pietro Marcello.

„Ich verstehe Filmemachen als eine Transposition von Wirklichkeit. In «Martin Eden» sind, glaube ich, alle meine Filme aufgehoben, er fasst auf bestimmte Weise zusammen, was ich bisher gemacht habe. Ich wollte Fiktion schaffen, indem ich mich aller verfügbarer Ressourcen bediene, und gleichzeitig eine gewisse Unvorhersehbarkeit bewahren. Letztlich erzählt der Film von einer Tranformation: Wir beginnen mit einem armen Matrosen, einem Streuner, der sich durch Kultur emanzipiert und schließlich zum berühmten Schriftsteller wird. Ich musste mich für »Martin Eden« auf ein Ende festlegen, aber im Grunde könnte es viele verschiedene Versionen der Geschichte geben, weil sie so reich an Material und Geschichte ist. Luca Marinelli war in dem ganzen Prozess ein entscheidender Faktor, der es mir erlaubte, in dieses Reich der Fiktion zu gelangen – ein Schauspieler, der sich sozusagen in den Film selbst verwandeln konnte.

MARTIN EDEN | Film | Martin schreibt

Pietro Marcello

Geboren 1976 in Caserta. Pietro Marcello studierte Malerei an der Accademia di Belle Arti in Neapel und war einer der Gründer des Sozial- und Kulturzentrums DAMM im neapo- litanischen Bezirk Montesanto. Nach verschiedenen Kurzfilmen legte Pietro Marcello 2007 seinen ersten Dokumentarfilm «Il passagio della linea» vor, der in der Sektion Orizzonti des Filmfestivals in Venedig uraufgeführt und u.a. mit dem Hauptpreis des Bellaria Film Festivals ausgezeichnet wurde.

2009 folgte «La bocca del lupo», der u.a. den Caligari-Preis und den Teddy Award der Berlinale, den Hauptpreis des Turin Filmfestivals, den Signis Award des Filmfestivals Buenos Aires sowie den David di Donatello Preis und den Nastro d’Argento als Bester Dokumentarfilm gewann.

20011 drehte Pietro Marcello «Il silenzio de Pelesjan», der seine Premiere beim Filmfestival in Venedig feierte. «Bella e perduta» (2015) lief im Wettbewerb des Locarno Filmfestivals und wurde u.a. mit dem Bergman Award des Göteborg Film Festivals, dem CineVision Award des Filmfest München, dem Großen Preis der Jury in La-Roche-sur-Yon und dem Nastro d’Argento als Bester Dokumentarfilm ausgezeichnet.

«Martin Eden» ist Pietro Marcellos erster komplett fiktionaler Film. Er wurde u.a. beim Filmfestival in Venedig mit dem Schauspielerpreis für Luca Marinelli, dem Platform Prize des Toronto International Film Festival, dem Hauptpreis als Bester Film in Sevilla, dem Regiepreis in Ghent, dem David di Donatello Award für das beste adaptierte Drehbuch und vier Nominierungen zum Europäischen Filmpreis ausgezeichnet: Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch und Bester Haupdarsteller.

MARTIN EDEN | Film | Regisseur Pietro Marcello

Filmografien

Cast

LUCA MARINELLI / MARTIN EDEN

Geboren 1984 in Rom. Schauspielausbildung an der Silvio D’Amico Accademia Nazionale D’Arte Drammatica, Abschluss 2009. Nach etlichen Theaterrollen übernahm Luca Marinelli 2010 seine erste Kinohauptrolle in Saverio Costanzos „Die Einsamkeit der Primzahlen“, der ebenso wie sein nächster Film «L’ultimo terrestre“ (2011, R: Gianni Pacinotti) im Wettbewerb des Filmfestivals Venedig uraufgeführt wurde. 2012 folgten u.a. «Tutti i santi giorni« (2012, R: Paolo Virzi; nominiert zum David di Donatello Award als Bester Schauspieler) und «La grande belleza» (R: Paolo Sorrentino; Ensemblepreis beim Preis der italienischen Filmkritik). 2013 war Luca Marinelli „European Shooting Star“ bei der Berlinale.

Zu seinen weiteren Filmen zählen «Lo chiamavano Jeeg Robot» (2014, R: Gabriele Mainetti; David di Donatello Award, Golden Ciak und Preis der italienischen Filmkritik als bester Schauspieler/Nebenrolle) , «Non essere cattivo» (2015, R: Claudio Caligari; Pasinetti Award Venedig, Schauspielpreis Bari Film Festival), «Il padre d’Italia» (2017, R: Fabio Mollo; Schauspielpreis Bari Film Festival, Golden Spike Social World Film Festival), »Lasciate andare» (2017, R: Francesco Amato; Golden Ciak – Bester Schauspieler/Nebenrolle), «Una questione privata» (2017, R: Paolo Taviani; Golden Globe Italy – Bester Schauspieler) und «Fabrizio de André: Principe libero» (2018, R: Luca Facchini; nominiert zum David di Donatello Award – Bester Schauspieler).

2018 drehte Luca Marinelli die Serie »Trust« an der Seite von Donald Sutherland und Hilary Swank, 2020 mit Charlize Theron den US-Spielfilm «The Old Guard» (R: Gina Prince-Bythewood). Für «Martin Eden» wurde er u.a. mit dem Schauspielpreis in Venedig, dem CinEuphoria Award und der Nominierung zum Europäischen Filmpreis als bester Schauspieler ausgezeichnet. Luca Marinelli lebt in Berlin.

JESSICA CRESSY / ELENA

Geboren und aufgewachsen in Paris, Schauspielerin und Model. Zu ihren Kinofilmen zählen «Lolo» (2015, Regie: Julie Delpy) und »Domane è un altro giorno» (2019, Regie: Simone Spada). 2019 war sie die Protagonistin der Video-Serie «Capri Rendez-Vous» (Regie: Francesco Lettieri) zu fünf neuen Songs von «Liberato», im gleichen Jahr drehte sie den Netflix-Film «The App» (2019, Regie: Elisa Fuksas) und «Calibro 9» (Regie: Toni D’Angelo).

DENISE SARDISCO / MARGHERITA

Geboren 1993 in Sizilien, später Umzug nach Rom, wo sie Schauspiel studierte. Seit 2013 Theaterarbeiten, 2017 drehte sie mit Daniele Vicari den TV-Film «Prima che la notte», 2018 mit Marco Pontecorvo in «Carlo & Malick» (2018). «Martin Eden» war ihre erste Kinorolle, es folgte im gleichen Jahr «Il primo Natale» (Regie: Ficarra e Picone).

VINCENZO NEMOLATO / NINO

Geboren 1989 in Neapel. Erste freie Theaterarbeit 2007 mit dem Teatro delle Albe di Ravenni, danach erhielt er auf Vermittlung des Regisseurs Marco Martinelli ein Stipendium zur Schauspielausbildung. Neben seiner vielfach ausgezeichneten Theaterarbeit (u.a. Premio Ubu 2012, Premio «Le maschere del teatro italiano») begann Vincenzo Nemolato seine Filmkarriere 2011 mit »La kryptonite nella borsa« (Regie: Ivan Cotroneo). Es folgten u.a. «Il racconto die racconti» (2015, Regie: Matteo Garrone), «Una questione privata» (2017, Regie: Paolo Taviani), »Lasciate andare» (2017, Regie: Francesco Amato), «L‘Eroe» (2018, Regie: Cristiano Anania), «5 è il numero perfetto» (2019, Regie: Igor Tuveri) und «Paradise – Una nova vita» (2019, Regie: Davide del Degan).

CARMEN POMMELLA / MARIA

Geboren 1972 in Neapel. Schauspielausbildung an der Accademia d’arte drammatica del Teatro Bellini di Napoli, Zusatzausbildungen in Tanz und Gesang. Bühnenengagements seit 1999, ausgezeichnet u.a. mit dem «Premio Napoli nel mondo» als beste Nachwuchsschauspielerin in den Jahren 2000 und 2004, 2016 dann als beste Schauspielerin; seit einigen Jahren inszeniert Carmen Pommella auch selbst am Theater. Zu ihrer Filmografie zählen die Serien «Gomorra» (2016, Regie: Stefano Sollima) und »Meine geniale Freundin« nach Elena Ferrante (2017, Regie: Saverio Costanzo) sowie die Kinofilme «La tenerezza» (2018, Regie: Gianni Amelio) und « Natale In Casa Cupiello» (2020, Regie: Edoardo De Angelis).

CARLO CECCHI / RUSS BRISSENDEN

Geboren 1939 in Florenz. Künstlerische Ausbildung in Workshops bei Eduardo de Filippo und beim Living Theatre in New York. Nach seinem Kinodebüt 1966 mit «Blindekuh - A mosca cieca (Regie: Romano Scavolini) etliche weitere große Rollen, u.a. «Il gatto selvaggio» (1968, Regie: Andrea Frezza), «La prova generale»

(1968, Regie: Romano Scavolini), «Die Verdammten dieser Erde» (1969, Regie: Valentino Orsini) und «Le Mans» (1971, Regie: Lee H. Kazin). Danach wandte sich Carlo Cecchi für 20 Jahre ausschließlich der Bühne zu, als Schauspieler und Regisseur.

Erst Anfang der 90er Jahre spielte Cecchi wieder im Film, zunächst in «Morte di un matematico napoletano» (1992, Regie: Mario Martone), für den er den als bester Schauspieler mit dem Pasinetti Preis in Venedig und dem David di Donatello Preis ausgezeichnet wurde. Es folgten u.a. «La scorta» (1993, Regie: Ricky Tognazzi), «Stealing beauty» (1996, Regie: Bernardo Bertolucci), «Le hussard sur le toit» (1995, Regie: Jean-Paul Rappeneau), in François Girards «Le violin rouge» (1998) und Silk (2007). Für «Luna Rossa» (2001, Regie: Antonio Capuano) wurde Carlo Cecchi mit dem Pasinetti Award in Venedig ausgezeichnet, 2013 wurde er für «Miele» (2013, Regie: Valeria Golino) einmal mehr zum David di Donatello Award nominiert.

MARTIN EDEN | Film | Elena roter Pulli
MARTIN EDEN | Film | Versammlung vor rotem Vorhang

Credits

MARTIN EDEN

Martin Eden … Luca Marinelli
Elena Orsini … Jessica Cressy
Margherita … Denise Sardisco
Nino … Vincenzo Nemolato
Maria … Carmen Pommella
Matilde Orsini … Elisabetta Volagoi
Bernardo Fiori … Marco Leonardi
Giulia Eden … Autilia Ranieri
Signor Orsini … Pietro Raguso
und als Russ Brissenden … Carlo Cecchi

Regie … Pietro Marcello
Buch … Maurizio Braucci, Pietro Marcello
Montage … Aline Hervé und Fabrizio Federico
Bildgestaltung … Francesco Di Giacomo und Alessandro Abate
Art Director … Tiziana Poli
Casting … Stefania De Santis
Kostümbild … Andrea Cavalletto
Hair Stylist … Daniela Tartari
Make Up Artist … Dorothea Wiedermann
Archivrecherche … Alessia Petitto
Filmmusik … Marco Messina & Sacha Ricci (ERA) und Paolo Marzocchi
Sound … Stefano Grosso
Mischung … Michael Kaczmarek
Executive Producer … Dario Zonta, Alessio Lazzareschi und Michel Merkt
Produzent*innen … Pietro Marcello, Beppe Caschetto, Thomas Ordonneau, Michael Weber und Viola Fügen

Eine Produktion von Avventurosa, Ibc Movie mit Rai Cinema in Koproduktion mit Shellac Sud und Match Factory Productions in Koproduktion mit Bayerischer Rundfunk in Verbindung mit arte Gefördert von MIBAC – Direzione Generale Cinema, Film Commission Regione Campania, Regione Lazio - Fondo Regionale Per Il Cinema E L’Audiovisivo, L’Aide Aux Cinémas Du Monde – CNC, Mitteldeutsche Medienförderung, Fondo Bilaterale Per Lo Sviluppo Di Opere Cinematografiche Italo-Francesi, Region Sud Provence Alpes Côte d’Azur

Im Verleih der Piffl Medien, Verleih gefördert von Creative Europe Programme – Media und Mitteldeutsche Medienförderung (MDM)

Italien / Frankreich / Deutschland 2019,
129 min, 1.85:1, gedreht auf 16mm,
DCP 2K, Sound: 5.1

MARTIN EDEN | EIN FILM VON PIETRO MARCELLO